Source: jungeWelt
Gespräch mit Andy Walsh, Karl Marginson und Dave Chadwick vom FC United Manchester. Über ManU, Geldsorgen, Leidenschaft, Aufstiegschancen, Nazifans und die Frage, wer Weltmeister wird
Viele Fans von Manchester United wollten es nicht hinnehmen, daß der Traditionsclub letztes Jahr vom US-amerikanischen Milliardär Malcom Glatzer gekauft wurde. Also gründeten sie einen neuen Verein, den FC United Manchester. Andy Walsh ist der Vereinspräsident, Karl Marginson der Trainer und Dave Chadwick (Foto oben) der Kapitän der Mannschaft.
Glückwunsch zum aktuellen Aufstieg. In die wievielte Liga eigentlich?
Dave Chadwick: Ich glaube, in die achte. Vielen Dank. Wenn wir jedes Jahr weiter aufsteigen würden, würde es vier Jahre bis zum Wiederaufsteig dauern – in die vierte englische Profiliga.
Die Saison 05/06 war die erste Spielzeit des neuen Clubs FC United. Was war gut und was war hart?
Chadwick: Ehrlich gesagt: Es war toll! Allein die Massen, die zu uns kamen! Es wurden von Spiel zu Spiel mehr. Und wir wurden immer besser, haben nur drei Saisonspiele verloren. Als der Aufstieg klar war, haben wir jede Minute genossen.
Andy Walsh: Die Schwierigkeit lag darin, alles erst aufzubauen, das war ein Haufen Arbeit. Schlechte Erfahrungen gab es nicht, nur Schwierigkeiten.
Erst protestierten Sie als ManU-Fans gegen die Übernahme des Clubs durch Malcolm Glazer: Nun haben Sie Ihren eigenen Club. Was hat sich für Sie verändert?
Walsh: Für mich sehr viel. Früher war ich nur Zuschauer, jetzt helfe ich, einen Club so zu leiten, daß die Fans die Kontrolle ausüben. Ich hatte auch noch nie in meinem Leben so wenig Zeit, zum Fußball zu gehen. Aber das alles war notwendig. Sehr viele Leute können es sich nicht mehr leisten, hochklassigen Fußball in England zu sehen, besonders, wenn sie ihre Kinder mitnehmen wollen. 30 Prozent unserer Zuschauer sind unter 18 Jahren, das ist einzigartig in England.
Karl Marginson: Hoffentlich geht es so weiter mit dem Aufsteigen. Wir brauchen ein paar neue Gesichter, um uns zu verstärken. Dazu eine Reservemannschaft und eine Jugendmannschaft, um dem Club als Fußballverein stärker zu machen und eine Basis zu schaffen, aus der man schöpfen kann.
Was ist mit dem geplanten Frauenteam?
Walsh: Nicht in der kommenden Saison. Ein Schritt nach dem anderen.
Herr Chadwick, ist es ein ganz normaler Job, für den FC zu spielen?
Chadwick: Es ist was besonderes. Etwas, was ich noch nie erlebt habe. Früher, in anderen Teams, spielten wir vor vielleicht 200 Fans. Jetzt haben wir im Durchschnitt 3000 Zuschauer. Das ziehen wir uns Woche für Woche rein und genießen das sehr.
Walsh: Beide, Karl und Dave, arbeiten Vollzeit, bei uns spielen sie sozusagen halbtags.
Marginson: Ich stehe früh auf, fahre Essen und Gemüse aus.
Wie schaffen Sie das alles?
Marginson: Hab' ich schon immer gemacht. Wenn du im non league football spielst, geschieht das aus Liebe zu dem Sport. Du mußt sowieso arbeiten, um deine Familie zu versorgen. Bei mir wird allerdings die Zeit jetzt schon knapp, so viele wollen mit dir reden, bedenkt man allein dieses riesige Menge an Fans. Letzten Endes mußt du deine Arbeit um den Fußball herum organisieren.
Werden Sie vom FC United bezahlt?
Chadwick: Doch schon.
Walsh: Ja, wir zahlen eine gewisse Summe. Im Durchschnitt so 150 Euro die Woche.
Wie reagieren die Fans anderer Vereine auf den FC United? Sind Sie in deren Augen Abtrünnige, Rebellen oder Freiheitskämpfer?
Chadwick: Eine Mischung aus allem. Viele stehen hinter uns. Andere sind mißgünstig, warten nur darauf, daß wir 'ne volle Bauchlandung machen.
Walsh: Unter den Manchester-United-Fans gibt es verschiedene Ansichten. Fans anderer Clubs bekunden uns mit Botschaften ihre Unterstützung. Mittlerweile reift unter den Fans der Premier-League-Vereine die Erkenntnis, daß das Fußballspiel den einfachen Menschen weggenommen wird. Nicht nur von den Kosten her, die das verursacht. Auch die Anstoßzeiten werden ständig nach Belieben des Fernsehens geändert.
Also ein politisches und soziales Problem gleichermaßen?
Walsh: Definitiv.
Deshalb heißt die Vereinssatzung des FC United auch »Manifest«?
Walsh: Das ist eher als eine Art Absichtserklärung zu verstehen. Manchmal fühlst du dich nicht mehr als Fußballclub, sondern gewissermaßen in heiliger Mission unterwegs: Das Spiel im Namen der einfachen Menschen, die zu unseren Begegnungen kommen, vom Kommerz zurückzufordern. Unsere Zuschauer sind junge Leute, viele aus der Arbeiterklasse, die es sich im Gegensatz zu früher nicht mehr leisten können, zu Spielen der Premier League zu gehen. Allein mit meinen zwei Kindern zu einem Spiel zu gehen, kostet mich inzwischen 100 Pfund. Für mich hat Glazer Manchester United übernommen, um meine Loyalität zu meinem Fußballclub auszubeuten. Aber ich werde nicht für ihn die Schulden bezahlen, die er gemacht hat, um den Club zu kaufen. Irgendwann war da die Grenze erreicht.
Marginson: Wir haben Fans in vielen Ländern, die uns unterstützen. Weil sie sich Manchester United nah fühlen und ihnen die Ideale unseres neuen Clubs einleuchten: Den Fußball den einfachen, arbeitenden Menschen zurückzubringen. Der Top-Fußball ist heutzutage eine Domäne der Corporations, vom Geld getrieben. Die Leidenschaft, die Fußball eigentlich ausmacht, gerät ins Hintertreffen. Die Hälfte des Wochenlohnes für den Stadionbesuch auszugeben, kommt für viele einfach nicht in Frage.
Chadwick: Die Leute können sich nicht mal mehr ihren Pie oder ein Programmheft leisten.
Marginson: Wir wollen Fußball den jungen Leuten wieder als gute Erfahrung rüberbringen – einfach raus zum Platz zu gehen, den Geruch von Hot Dogs und Pies, die Gesänge, die Rivalität und den guten Humor zwischen den Fans bemerken. Die meisten Kids gucken Fußball nur vorm Fernseher – im Privatkanal Sky TV.
Walsh: Wir wollen sie aber auch inspirieren, selbst zu spielen. Wenn sie ihre Helden auf dem Platz selbst sehen, versuchen sie es wahrscheinlich eher mal, die Tricks und Bewegungen nachzumachen, und kriegen einfach Lust aufs Fußballspielen. Jugendliche, die Fußball nur durchs Fernsehen kennen, haben nicht den Drang, selbst zu spielen. Als Club wollen wir auch eine größtmögliche Gemeinschaft erreichen, gute Verbindungen aufbauen.
Glazer hat 96 Prozent der ManU-Aktien und den Club damit in eine Privatgesellschaft umfunktioniert. Der FC United soll vom Statut her eine Non-Profit-Vereinigung sein. Wie klappt das mit der Finanzierung?
Walsh: Uns wurde ein Verlust von 30000 Pfund für dieses Jahr vorausberechnet, jetzt haben wir einen Überschuß von 20000. Das beweist, daß die Leute uns angenommen haben, Aber es wird jedes Jahr eine Herausforderung bleiben - die Spieler zu bezahlen und die Stadionmiete, denn wir haben ja noch kein eigenes. Je mehr Leute wir anziehen, desto mehr Arbeit ist im Hintergrund nötig. Einen Club professionell zu betreiben, kostet jede Menge Geld, Zeit und Nerven.
Identifizieren Sie sich vollends mit dem FC United? Oder ist dieser neue Club doch eher eine Verbindung auf Zeit – mit der Hoffnung, irgendwann mit gutem Gewissen zu ManU zurückzukehren, wenn sich die Lage dort verändert haben sollte?
Marginson: Wir fühlen, daß der FC United mehr ist als nur ein Fußballclub.
Walsh: Ich sehe mich selbst immer noch als ein Fan von Manchester United. Aber die vielen desillusionierten Fans als Gruppe zusammenzuhalten, das kann nur der FC leisten. Vielleicht kommt irgendwann die Möglichkeit, den ManU zurückzukaufen, den Club in die Hände seiner Anhänger zu überführen? Dieser Tag ist noch weit. Für uns persönlich wird es den FC immer geben, sogar wenn die Fans zu Manchester United zurückkehren und ihn übernehmen würden. Was wir bisher erreicht haben, zeigt, daß es einfach das Verlangen nach einem solchen Club gibt.
Mitte Mai hat der FC United ein Freundschaftsspiel bei Lok Leipzig absolviert. Auch das ist eine Neugründung von Fans, allerdings war ihnen vorher der alte Verein, der VfB Leipzig durch Konkurs verlustig gegangen. Hat Ihnen das Spiel gefallen?
Chatwick: Wir hatten so etwas vorher noch nicht gemacht, waren alle sehr aufgeregt, denn wir haben uns sehr gefreut, eingeladen zu werden.
Marginson: Für uns alle und für die Fans eine riesige Erfahrung. Es war absolut phantastisch, wie wir aufehnommen wurden.
Welche Übereinstimmungen gibt es zwischen den beiden Clubs?
Walsh: Wir haben eine andere Geschichte, warum wir da stehen, wo wir sind. Die Gemeinsamkeit ist die, daß die Fans Kontrolle über ihren Fußballclub haben wollten. Ohne die Entschlossenheit von Matthias Löffler und John Marley, die die letzten zwölf Monate versuchten, dieses Spiel wahr werden zu lassen, wären wir nicht bis nach Leipzig gekommen. Das zeigt die Bedeutung der Fans im Fußball. Im Top-Fußball gibt es das nicht mehr, da zählt nur das Geld, und die Rolle der Fans wird schwächer – was von Vereinsseite sogar gewünscht wird. Das Spiel in Leipzig war ein Symbol für die Bedeutung des einfachen Fußballfans für – wie wir sagen – das größte Spiel der Welt.
In der Zeit vor dem Spiel in Leipzig berichteten die Medien viel über Neonazis in ostdeutschen Fußballstadien, Leipzig eingeschlossen. Hat der FC United gezögert, dorthin zu fahren?
Walsh: Ja, wir haben gezögert. Ein paar Monate vor dem Spiel sind wir nach Leipzig gefahren, um sicher zu gehen, daß alles in Ordnung ist. Außerdem trafen sich Mitglieder von uns, die in Deutschland leben, mit den Organisatoren und dem Präsidenten von Lok, um sich ein Bild davon zu machen, wie dieser Club strukturiert ist. Ich meine, jeder Club hat seine Probleme mit lästigen Fans dieser Art. Die Frage ist, wie er damit umgeht. Daß Lok Leipzig etwas dagegen tut, hat uns beruhigt. Für uns bedeutet das Freundschaftspiel auch, daß Fußball Schranken überwinden kann und daß Freundschaft über Grenzen hinausgeht.
Wer wird dieses Jahr Fußball-Weltmeister?
Walsh, Marginson, Chatwick: Brasilien.
Was ist mit England?
Walsh, Marginson, Chatwick: Keine Chance. Wenn sie Glück haben Viertelfinale. Höchstens.
Das Gespräch führte Gabriele Damtew
Manchester United (ManU) ist neben Arsenal London, Chelsea und dem FC Liverpool der wichtigste englische Fußballclub. Letztes Jahr übernahm der US-amerikanische Milliardär Malcom Glatzer die Mehrheit der ManU-Aktien. Und zwar auf Pump – Kredite in Höhe von rund 800 Millionen Euro sind nun die Schulden des Clubs. Allein für 2006 soll die fällige Zinstilgung bei 90 Millionen Euro liegen. Bis 2011 werden die Eintrittspreise jährlich um rund neun Prozent steigen. Aus Protest gegen dieses Gebaren gründeten rund 5000 ManU-Fans den FC United Manchester, gemäß dem Aufdruck eines T-Shirts, das sie verkaufen: »Unser Club – unsere Regeln«. Darunter ist eine geballte rote Faust gedruckt.
In aller Eile wurde im Sommer 2005 eine eigene Mannschaft zusammengekratzt. 900 Spieler aus aller Welt bewarben sich, die meisten aus der Fanszene. Nach einem Casting unter der Leitung von Trainer Karl Marginson blieben von 228 eingeladenen Spielern 18 übrig. Drei sind Halbprofis mit einem Gehalt von 70 Pfund pro Match. Inzwischen hat der FC United einen Zuscherrekord von über 6000 Fans. Gerade ist der Club mit elf Punkten Vorsprung Meister der zweiten nordenglischen Counties League geworden, das bedeutet Aufstieg in die achte Liga. Demnächst sollen auch eine Frauen- und zwei Jugendmannschaften antreten.